Nachrichten von Nachbarn

alles auf der überholspur.

Von Kathrin Röggla
sind wir ja alle global geworden,
nachbarn auf beiden seiten quasi, das globale dorf hat zugeschlagen und uns voll erwischt, jetzt läuft alles zur wirklichkeit über, die so aussieht, als kennte sie einen beim namen, als wäre jede durchwahl bekannt. so sind wir durch und durch verkapselt in unsere nächste nähe, wir geben uns permanent die hand, da ist niemand mehr gegen den strich gebürstet, niemand mehr ausserhalb - jetzt kommt alles im weltraumformat.
doch aufgrund der nächstennähe sind wir wie angehupt, wie schreckgespenster steht ein jeder vor dem spiegel und fragt sich: bin ich auch wirklich bereit, bin ich auch wirklich griffbereit für diese gesellschaft, fragen sie, dabei liegt die antwort klar auf der hand: da fehlt es noch weit.
nachbarschaft ausbauen heisst deswegen die bewegung, die durch den kontinent geht, und nachbarschaft ausbauen heisst auch mein auftrag, doch wo anfangen, habe ich mich gefragt, mitbürger heissen ja jetzt alle und mitmischer, nischenhusten hat jetzt keiner mehr, sondern alles ist ganz auf zentralheizung.
ja, die bilateralen beziehungen tauchen auf, an allen ecken und enden entstehen sie, dabei ist die nachbarschaft zu frauen noch nicht erwiesen, nur die zu kindern stimmt total, wenn sie auch extreme menschen sind, wenn sie auch nicht aufhören können und immer weitergehen, so haben sie doch mit uns einiges zu tun. wir sind uns begegnet quasi, wir halten uns so am laufenden über dies und das, wir halten dicht auf beiden seiten, doch seit einiger zeit hat sich das abgebaut, seit einiger zeit sind sie so ziemlich verschwunden, ja - sie sind schnurstracks auf einen anderen planeten ausgewandert, so innerlich. rückbinden, haben sie mir gesagt, wahrnehmen und ausbauen die generationsmässige nachbarschaft, denn sonst stehen wir eines tages ganz ohne sie da.
da heisst es immer, aus dem strassenbild sind sie nicht wegzudenken, es heisst, überall lauern sie, sie sind allerorts zu haben, durchtrieben und immer vorhanden, dabei wissen sie den moment für sich zu nutzen: «entkommen» steht ihnen dann auf der stirn geschrieben. «so wird nie was aus dir werden.» ist schnell zu ihnen gesagt, doch kaum angesprochen, sind sie schon wieder weg. im grunde ist man ja froh, sie loszusein. «die führen sich auf wie die letzten!» meinen die einen, die andern halten sie praktisch für tiere, «die sprechen ja nicht einmal unsere sprache». tatsächlich hat es nicht nur den anschein, sie haben wirklich ihren eigenen slang, dem zu folgen aussenstehenden unmöglich ist - weiss der geier, woher erworben, wie entstanden, letztendlich ist ja nicht einmal sicherzustellen, woher sie selbst kommen. natürlich heisst es, aus den unterschiedlichsten familien, aber damit ist uns kein bisschen geholfen, auch die zuordnung zu einer klasse oder berufsgruppe stellte sich als unzureichender versuch heraus, ihre soziale lage zu bestimmen, nein, da muss man schon ganz anders rangehen.
ausserdem gibt es ja keine klassen mehr, es gibt nur noch konsumgruppen, deren teilnehmern man unterstellt, permanent ihre geschmacksrichtung zu verfehlen. das ist noch einmal gut gegangen, haarscharf! atmet man auf, während die verkäuferinnen sich schon zunicken: falsche auswahl, «schon wieder einer, der danebenlag». nur die kinder nehmen anscheinend stets das richtige mit: weil eben unter ihnen noch wahre statussymbole kursieren, sie haben noch ein verhältnis zu den dingen, während bei uns alles danebengeht. aber das mag daran liegen, dass sich ein grossteil der menschen hier nichts mehr leisten kann, auf dauer hat hier eben niemand geld. deshalb dachten zunächst viele, sie könnten uns retten, wenn sie nur eine kaufkraft entwickeln würden, eine ordentliche kaufkraft und schubkraft, da wäre schon viel getan für unsere wirtschaft, die würden sie ordentlich ankurbeln, aber sie klauen nur, sie kaufen nicht, sie stehlen, ja und wie.
eine gruppe soll ich besonders im auge behalten, das sind die, die am platz des westfälischen friedens mit ihren skateboards glauben, die welt hinter sich lassen zu können, und dabei den platz verbringen, hat man mir erzählt, kaum einer wage ihn noch zu überqueren, die kaufhäuser zu beiden seiten hätten schon ihr sicherheitspersonal verstärkt, und doch schafften sie es immer wieder: kleidungsstücke, spielzeug, essen, ja selbst vor parfümeriewaren schreckten sie nicht zurück. das heisst, man muss davon ausgehen, dass sie es an hehler weiterverhökern.
bin ich also zu dem beobachterposten am platz, da gibt es so eine bank, auf die setze ich mich und gebe vor, mich auszuruhen, doch wie man sich denken kann, wartet ein ganz schöner haufen arbeit auf mich. ich weiss, die meisten in diesem viertel halten dies für selbstverständlich, meinen einsatz für sie, es ist ihnen völlig egal, wieviel zeit und anstrengung ich verwandt habe, um überhaupt hierherzukommen, ich bestehe aus fertigteilen, könnte man fast sagen, hielte man sich an die meinung der leute. ich jedenfalls halte zunächst einmal ausschau nach ihnen, doch wieder nichts zu sehen. sie bleiben wohl in einer art sicherheitsabstand zu mir, so, als ob es hier keinen teppich gäbe, den man langziehen kann, und dann rutschen sie aus, selbst hunderte meter entfernt. in jedem film zeigen sie es her, doch hier hat es noch keiner kapiert. mit der luft ist es dasselbe: sie verbindet uns kostenlos, könnte man sagen, ein leichtes ist es seit jeher gewesen, über sie so was wie kontrolle zu wahren, über sie dinge auszulösen, die jenseits der willentlichen beeinflussung einzelner steht.
doch so was schlägt ja auf einen zurück. jedenfalls steht alles ganz und gar in einem wechselverhältnis, das eine greift ins andere, und das andere ist derweil schon immer einen schritt weiter, kybernetik nennt man das, alleine dieser platz, kein wunder, dass der sicherheitssektor boomt - aber lassen wir das.
zurück zu den kindern. noch immer nichts zu sehen, die stadt ist ja seltsam vierspurig hier, und alles auf der überholspur, das ist der krieg aller gegen alle, lachen die verkäuferinnen und meinen das weihnachtsgeschäft. nulltoleranz, das hat man sich heute schnell auf die fahnen geschrieben, ich aber verstehe langsam keinen spass mehr, denn noch immer ist kein kind zu sehen, nur so angebote an kindern, die nicht recht taugen. denn das hatte ich schnell heraussen: was man heutzutage für ein kind hält, hat meist die besten jahre schon hinter sich.
aber dann beginne ich langsam zu verstehen. man muss sie erst hineintreiben, sie zum gleichaltrigen gespräch locken und dann vollkommen hineinrasseln lassen in ihre jugend - in die zweige getrieben der saft! aber dann abschalten, sie nicht wieder ausbüchsen lassen, auswachsen und aus sich rauskommen, nein, sie müssen drinnenbleiben und auf einem parallelgleis weitersegeln, weitergehen ins unendliche in strikter kindlichkeit.
doch es ist wie immer, kaum hat man einen ansatz zur lösung, kehrt sich alles gegen einen. wie immer wird das eine mit dem andern verwechselt, da heisst es beispielsweise, ich verursache einen haufen arbeit, dabei sind es die kinder, nicht ich, das heisst, sie wollen sich mit mir ihre probleme vom hals schaffen, wo immer man auf grenzen stosse, treffe man auf mich, das sei zu viel. es soll ja niemand zu schaden kommen, aber grosse lust habe man eben nicht mehr auf mich, mehr so ein umgebungsdrücken stelle ich dar, das wird jetzt beseitigt mit grossem hurra.
seltsam, man hält mich nicht für flächendeckend, sie glauben, man kann mich an einer hand abzählen.

Roger Monnerat...

...beschert uns unseren ersten Audiobeitrag:


wie der japanische Roboter Asimo.
der im August 2003
den tschechischen Ministerpräsidenten
aufforderte zu einem Tänzchen


(mail von Roger Monnerat dazu) es klappt tatsächlich. hast du das bild des roboters asimo bekommen? die bewandtnis des geschenks ist, dass die japaner den tschechischen autor karel capek (tschapek) damit ehrten, der als erfinder des begriffs roboter gilt und 1920 ein theaterstück zum thema (rossums universal robots) geschrieben hat. capek hat das wort vom polnischen «arbeiten» abgeleitet.

gruss+dank, roger

( Text zum Song nachzulesen übrigens hier)

Dritte Bamberger Elegie. (Entwurf).

Was ist die Schönheit? Bedroht sie uns nicht, ist sie leer, reine Fläche,
Hat sie Geheimnis indes, erfüllt es lockend nicht sie nur,
Uns erfüllt’s auch und f ü l l t uns, die wir’s so sehnend begehren,
s e h e n d begehren. Nicht ablassen können wir mit den Augen,
fahrn Dir dahin über Ohren und Brüste, im Schoß Dir versenkend
ahnungsvoll witternd die Blicke. Gierig zugleich wie beschwörend,
beten allein Deinen Fuß wir an, jeder einzelnen Zehe
Nagel, den Perllack, der Perlmutter schimmernde Mutter.
Du hebst den Kopf, drehst das Kinn, die Kehle entblößend, lockst Du,
f o r d e r s t das Raubtier in uns, Dich zu reißen – und willst uns verhöhnen,
da wir’s nicht können, sondern versagen. Denn wir wissen,
Du beißt zurück, hast die stärkeren, schärferen Zähne und nutzt sie.
Wirkliche Schönheit kennt nicht Moral und nicht schützende Hemmung:
Wer erreicht mich? ruft sie statt dessen, wer sieht mich und wagt mich?
(Immer noch fährt unsre Zunge feucht Deinen gliedrigen Nacken,
fährt entlang Dir die Sehnen des seitlich gebogenen Halses,
immer noch beißen wir nicht. Ach unsre schändliche Feigheit!
Was für Produkte wir sind! Unzugegeben, die Träume
klebrig zwischen Backe und Backe heimlich verkneifend!
W i e wenig Ich! Dauernd um Zeugen besorgt und um Ansehn!)
Immer noch steht Dein fordernder Blick im Raum, doch erlischt Dir
voll einer Melancholie, die bitter und milde verachtet.
Jede Schönheit ist traurig darum, auch Anahits Schönheit,
deine. Du leckst am Geschmack einer kleinen währenden Blutung,
sichtbar nicht uns, aber schmerzhaft Dir auf der Lippe, Geliebte,
von einem Biß des bleibenden Tiers, das w i r ahnend scheuen.
Das wir zugleich in Deiner Schönheit verehren und brauchen,
ohne ihn, diesen Schmerz, noch selber spüren zu wollen
Deshalb sperrt Unantastbarkeit Dich so ein und quält Dich -
nicht, weil Du leer wärst! Sondern weil Du etwas geschaut hast,
Das Dein Körper b a n n t in seiner perfekten Gestaltung
Und in sich h ä l t: Das wütet in Dir. Du aber lächelst,
arrogant aus Vollendung, so lockend um Wollust wie leidend,
stolz, deine Sehnsucht nicht zu zeigen. Kein Jammer entringt sich,
Zu groß der Anlaß: das Entsetzen, das Du gesehen,
dem Du entsprangst, der Kastration Deiner Väter, Zerstücktes
salziges Bluten in Deinen Müttern, den Meeren.
Davon die schäumenden Wirbel, Chaos und Säfte, zusammen,
strudelndes Aufbegehren, Sturmchemie – so heftig,
Daß Du Dich formen m u ß t e s t. Schönheit ist darum Einspruch.
Weiblich, i m m e r , ist sie darum. Das Ungestalte
trägt sie in sich, innigst unterst, tiefseits der Labien.
Schlage sanft sie, s t r e i c h e sie je zu den Schenkeln und schaue:
Schleimhaut, Organik, rötlich saugend, das Zucken der Sekrete.
Und das All. So geht’s hinein. So heraus geht es immer.
Glas ist nicht fruchtbar. Sondern, durchwegs, der unreine Schlamm ist’s.
Anahit weiß es, trägt es und hält dem uns entgegen.
Das tut die Schönheit: Umhüllend erschafft sie Träume - entfernte,
das ist wahr. Denn nähern wir uns und wolln Dich berühren,
rufst Du abermals: Nimm mich! Nimm mir die Haltung, den Willen!
Rufst nach Beschmutzung, ja! nach Speichel, nach Kraft, nach Schlägen,
Dir die Besinnung abzunehmen, die schwere, formale
Leuchtkraft, das Götzige Dir, endlich. Denn Schönheit ist einsam,
allem andren Vollendeten gleich. Sie braucht nicht ein andres.
Und braucht es d o c h. Darum ist Kampf Dein tiefster Geliebter.
Was Du nicht willst, was Dich verzweifelt, weil Du ankommen möchtest.
Er nur aber zerschlägt, was Dich derart erstarrt hat zu Marmor,
bis Du verlassenes Bild nur noch warst und nichts als Ikone,
innen die wütende ungerichtet tobende Schöpfung,
außen der Leib, der sie ruhend hält, elegant und harmonisch.
Das ist’s, was wir bewundern, weshalb uns Berührung tabu ist.
Deshalb entweihen wir’s nicht, sondern lassen Dich stehen
in Deiner einsamen Blüte, bewundert zwar, doch so bitter.
Wir verschmähen den Austausch mit Dir, um selbst nicht, was Du trägst,
tragen zu müssen. Du sollst es tragen für uns. Versteh uns!
Wir sind zu häßlich, des bleibenden Tieres Chaos zu zähmen.
D i r drum genüg’! rufen wir, genüge doch, Schönheit, dir selber!
Niemanden brauchst Du als Dich! Was wollten wir Dich betrachten,
wär dem nicht so? Du wärest bedingt, wie es wir sind. Und hilflos.
Unbedingt sollst Du sein! (Wie kannst du wagen zu hoffen?
wie es uns zeigen? – Gibt Schönheit sich hin, halten wir uns schadlos:
machen uns lustig, verhöhnen sie, bis sie kleingekriegt jammert.
Bleibst drum besser Madonna.) Wir beten dich an in
Schauspielerinnen, Sängerinnen, je entfernter, je besser.
Die erreichen wir nicht, sie nicht uns, so genügen wir jedem,
Alltag, Moral und Begehren. Eine alte Bewegung ist es,
uns überkommen. Ins Maul des Begehrens steckst du die Kandare.
Ungezähmt ist das bleibende Tier, nur so darf’s uns bleiben:
angeschirrt oder von Deiner Gestalt, Anahit, ganz erblindet.
Nicht springt es los, dich zu jagen, nicht wirft es dich nieder erbarmend,
Nicht zerstückt es dich zwischen den Klauen, stößt zeugend zu nicht,
Nicht zum Teil macht es Dich, das in anderen Stücken sich findet,
sterblich und fruchtbar. Geschunden zwar, doch heimgekommen.
Nein. Er bleibt unerbarmt, fern uns und allem, Dein Schmerz auf der Lippe.

Stehst auf dem Sockel, Saal fünf. Läßt kühlen Blicks Dich betrachten.
Ich rieche Weihrauch, das Licht ist gedimmt. So schauen wir flüsternd.
Argwöhnisch sind die Wächter dem, der nicht betet, wie Küster.
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