Dritte Bamberger Elegie. (Entwurf).

Was ist die Schönheit? Bedroht sie uns nicht, ist sie leer, reine Fläche,
Hat sie Geheimnis indes, erfüllt es lockend nicht sie nur,
Uns erfüllt’s auch und f ü l l t uns, die wir’s so sehnend begehren,
s e h e n d begehren. Nicht ablassen können wir mit den Augen,
fahrn Dir dahin über Ohren und Brüste, im Schoß Dir versenkend
ahnungsvoll witternd die Blicke. Gierig zugleich wie beschwörend,
beten allein Deinen Fuß wir an, jeder einzelnen Zehe
Nagel, den Perllack, der Perlmutter schimmernde Mutter.
Du hebst den Kopf, drehst das Kinn, die Kehle entblößend, lockst Du,
f o r d e r s t das Raubtier in uns, Dich zu reißen – und willst uns verhöhnen,
da wir’s nicht können, sondern versagen. Denn wir wissen,
Du beißt zurück, hast die stärkeren, schärferen Zähne und nutzt sie.
Wirkliche Schönheit kennt nicht Moral und nicht schützende Hemmung:
Wer erreicht mich? ruft sie statt dessen, wer sieht mich und wagt mich?
(Immer noch fährt unsre Zunge feucht Deinen gliedrigen Nacken,
fährt entlang Dir die Sehnen des seitlich gebogenen Halses,
immer noch beißen wir nicht. Ach unsre schändliche Feigheit!
Was für Produkte wir sind! Unzugegeben, die Träume
klebrig zwischen Backe und Backe heimlich verkneifend!
W i e wenig Ich! Dauernd um Zeugen besorgt und um Ansehn!)
Immer noch steht Dein fordernder Blick im Raum, doch erlischt Dir
voll einer Melancholie, die bitter und milde verachtet.
Jede Schönheit ist traurig darum, auch Anahits Schönheit,
deine. Du leckst am Geschmack einer kleinen währenden Blutung,
sichtbar nicht uns, aber schmerzhaft Dir auf der Lippe, Geliebte,
von einem Biß des bleibenden Tiers, das w i r ahnend scheuen.
Das wir zugleich in Deiner Schönheit verehren und brauchen,
ohne ihn, diesen Schmerz, noch selber spüren zu wollen
Deshalb sperrt Unantastbarkeit Dich so ein und quält Dich -
nicht, weil Du leer wärst! Sondern weil Du etwas geschaut hast,
Das Dein Körper b a n n t in seiner perfekten Gestaltung
Und in sich h ä l t: Das wütet in Dir. Du aber lächelst,
arrogant aus Vollendung, so lockend um Wollust wie leidend,
stolz, deine Sehnsucht nicht zu zeigen. Kein Jammer entringt sich,
Zu groß der Anlaß: das Entsetzen, das Du gesehen,
dem Du entsprangst, der Kastration Deiner Väter, Zerstücktes
salziges Bluten in Deinen Müttern, den Meeren.
Davon die schäumenden Wirbel, Chaos und Säfte, zusammen,
strudelndes Aufbegehren, Sturmchemie – so heftig,
Daß Du Dich formen m u ß t e s t. Schönheit ist darum Einspruch.
Weiblich, i m m e r , ist sie darum. Das Ungestalte
trägt sie in sich, innigst unterst, tiefseits der Labien.
Schlage sanft sie, s t r e i c h e sie je zu den Schenkeln und schaue:
Schleimhaut, Organik, rötlich saugend, das Zucken der Sekrete.
Und das All. So geht’s hinein. So heraus geht es immer.
Glas ist nicht fruchtbar. Sondern, durchwegs, der unreine Schlamm ist’s.
Anahit weiß es, trägt es und hält dem uns entgegen.
Das tut die Schönheit: Umhüllend erschafft sie Träume - entfernte,
das ist wahr. Denn nähern wir uns und wolln Dich berühren,
rufst Du abermals: Nimm mich! Nimm mir die Haltung, den Willen!
Rufst nach Beschmutzung, ja! nach Speichel, nach Kraft, nach Schlägen,
Dir die Besinnung abzunehmen, die schwere, formale
Leuchtkraft, das Götzige Dir, endlich. Denn Schönheit ist einsam,
allem andren Vollendeten gleich. Sie braucht nicht ein andres.
Und braucht es d o c h. Darum ist Kampf Dein tiefster Geliebter.
Was Du nicht willst, was Dich verzweifelt, weil Du ankommen möchtest.
Er nur aber zerschlägt, was Dich derart erstarrt hat zu Marmor,
bis Du verlassenes Bild nur noch warst und nichts als Ikone,
innen die wütende ungerichtet tobende Schöpfung,
außen der Leib, der sie ruhend hält, elegant und harmonisch.
Das ist’s, was wir bewundern, weshalb uns Berührung tabu ist.
Deshalb entweihen wir’s nicht, sondern lassen Dich stehen
in Deiner einsamen Blüte, bewundert zwar, doch so bitter.
Wir verschmähen den Austausch mit Dir, um selbst nicht, was Du trägst,
tragen zu müssen. Du sollst es tragen für uns. Versteh uns!
Wir sind zu häßlich, des bleibenden Tieres Chaos zu zähmen.
D i r drum genüg’! rufen wir, genüge doch, Schönheit, dir selber!
Niemanden brauchst Du als Dich! Was wollten wir Dich betrachten,
wär dem nicht so? Du wärest bedingt, wie es wir sind. Und hilflos.
Unbedingt sollst Du sein! (Wie kannst du wagen zu hoffen?
wie es uns zeigen? – Gibt Schönheit sich hin, halten wir uns schadlos:
machen uns lustig, verhöhnen sie, bis sie kleingekriegt jammert.
Bleibst drum besser Madonna.) Wir beten dich an in
Schauspielerinnen, Sängerinnen, je entfernter, je besser.
Die erreichen wir nicht, sie nicht uns, so genügen wir jedem,
Alltag, Moral und Begehren. Eine alte Bewegung ist es,
uns überkommen. Ins Maul des Begehrens steckst du die Kandare.
Ungezähmt ist das bleibende Tier, nur so darf’s uns bleiben:
angeschirrt oder von Deiner Gestalt, Anahit, ganz erblindet.
Nicht springt es los, dich zu jagen, nicht wirft es dich nieder erbarmend,
Nicht zerstückt es dich zwischen den Klauen, stößt zeugend zu nicht,
Nicht zum Teil macht es Dich, das in anderen Stücken sich findet,
sterblich und fruchtbar. Geschunden zwar, doch heimgekommen.
Nein. Er bleibt unerbarmt, fern uns und allem, Dein Schmerz auf der Lippe.

Stehst auf dem Sockel, Saal fünf. Läßt kühlen Blicks Dich betrachten.
Ich rieche Weihrauch, das Licht ist gedimmt. So schauen wir flüsternd.
Argwöhnisch sind die Wächter dem, der nicht betet, wie Küster.
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weblog zu den 9. internationalen literaturtagen sprachsalz 9.–11. september 2011, hall in tirol

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