Gedichte von Janine Pommy Vega
(aus dem Amerikanischen
von Florian Vetsch)
Janine Vega hat die Fähigkeit, die Vorstellungswelt von Kindern
auf den Tod, die Hölle & den Teufel zu lenken. Falls unser Kind in
ihre Klasse kommt, werden wir Anzeige erstatten.
- Auszug aus einem Elternbrief an eine Lokalschule
HEXENKUNST
Wünschte, sie hätten das nie gesagt über
das Lenken der Vorstellungswelt von Kindern,
als ob ich Kanäle in ihre Ohren
bohrte. Wünschte, sie hätten
die Vorstellungskraft nicht
für teuflisch befunden.
Einmal sah ich einen Teufel, er hatte
ein Gesicht verschlossen wie eine Faust, eine
Mauer gegen jede Verständigung.
Die Bodhisattvas lehren: Solange nicht
jeder frei ist, ist keiner wirklich frei.
Leg die Scheite zusammen für das nächste Feuer
und ich werde darum herumtanzen wie die
Hexen in der Walpurgisnacht
Sag Beltana, sag Aks aya trt jya
sag Marienmond oder Buddhas Geburtstag
jeden Namen verkörpere ich im Feuer
Das brüllt
pyramidal auflodert,
und sein Spiegelbild erblick ich in meinem Herzen.
Feuer brennt und brennt nicht.
Wo ist mein Besenstiel?
Vertrau mir.
Bedford Hills Correctional Facility, NY, Februar 1992
VERRÜCKTE HUNDE VON TRIEST
für Andy Clausen
Noch nie befanden wir uns in einem Krieg wie diesem
in all den Jahren nicht
in denen wir auf den Strassen um 3 Uhr in der Früh die Jugendlichen
beobachteten, wie sie Stinkbomben in Abfalleimer schmissen
die letzten Stricherinnen, wie sie heimwärts zogen
Oft kehrten wir nach einer solchen Nacht
in den Cafés von Les Halles ein, wir konnten
die kräftigen Kerle vom Markt
und die schönen Dirnen sehen
wie sie sich eng umschlungen ausruhten
Le Chat Qui Peche, Le Chien Qui Fume
beseelt von Pariser Walzern, seine Hände auf ihrem Arsch
Wir konnten Rohes aus den Kompostcontainern fischen
und den Linseneintopf für morgen aufsetzen
Noch nie standen die Dinge so wie jetzt.
Bullen schwärmen auf dem Dorfplatz gegen Teenager aus
bumsen den Gefälligsten durch und buchten den Rest
in Zellen ein
Die verrückten Hunde von Triest -
wir rechneten damit, dass sie die Toten stürzen
und den morschen Status quo, hier ein Stubs
dort ein Stoss, das verfettete verkalkte System marodieren –
sind verschwunden wie Geschichten
Wir pflegten sie unter Hutkrempen zu erwischen
die ihr Gesicht fast ganz überschatteten
und manchmal verwandelten sich jene Stimmen
eine um die andere
in Wellen
wie Zikaden in den Augustbäumen im Hintergrund
singen und verschwinden, die Worte krochen unter
die Vorhänge der Macht, bewirkten kleine Veränderungen,
setzten die prekäre Balance ausser Kraft und führten zur Entspannung
Jene Rudel streunen jetzt nicht mehr kreuz und quer über die Boulevards
in den alten Städten, kein politischer Klüngel
überwacht die Welt mit
allwissendem
Auge
die poetischen Stimmen Regenbogenkörper
deine Freunde meine Freunde keiner mehr übrig
aber die verrückten Hunde von Triest, wenn wir
die Strassen unsicher machen.
Willow, NY, August 1998
KÜCHENTRAUM
In meinem Zimmer über der Küche
in Barranco kräuselt sich über dem Holzboden
der Schatten von Weihrauch
Ich neige mich über das Königreich
meiner Habseligkeiten, und dies wird
eines Tages verschwinden
wie Rauch, der sich auflöst
Eine Taube landet vor der Tür
und gurrt, kommt herein,
geht hinaus in die Stille
wie ein Leben,
das kurz aufscheint
wie jemand, der in einer Flussmündung
in die See hinaustreibt.
Barranco, Lima, Peru, September 1993
VOGELMUTTER VON CAGLIARI
für Anne Waldman
Urmutter
aufbewahrt in Regalen
aus Cúcurru’e Mari auf Sardinien
eine Reihe kleiner Mütter aus Cúcurru S’árriu
zwischen früher und mittlerer Bronzezeit
Bronzezeit (1600 v. Chr.), nuraghische Kultur
Vogelfrau aus weissem Marmor gemeisselt
mit grossen breiten Schultern
und blindem Schnabel,
Glaubst du, dass wir,
umgeben von Bildern
und Kunstwerken des alten Wissens,
zurückgeworfen werden könnten,
erschüttert, überrascht in unser Urselbst
und sein singendes Herz zurückversetzt?
Unser Einblick in sehnige Kanäle
den Halt unserer Arme und Knie – voller Höhlen
deine dunkle Nacht eine bestirnte
mütterliche Kirche, mit vernestelter Kenntnis
einer körperlichen Welt und ihrer Brut von Eiern
eines schöner als das andere
Könnten wir in jenen Garten zurückkehren
und deine Obsidianhalme erkennen
dein rundes Kammerhaus
deine Hand vor dem
mons veneris
wenn du dich nach rechts drehst?
Könnten wir zustimmen und eintauchen in jenes Königreich
Beschützt, hervorbringend
ohne die Kriege der Teilung?
Könnten wir dich finden, Trösterin,
wenn wir die Arbeit auf uns nähmen,
die keine Trennung duldet?
Könnten wir dich finden,
wie du an der Pforte lächelst
und uns willkommen heisst?
Cagliari, Sardinien, Juli 1999
PATRICK NOLAN
Ich lese deine Kindheitsgedichte
wie du von deinem Stiefvater geprügelt wurdest, getreten
regelmässig missbraucht, er hasste dein helles rotes
Haar, du verbargst es unter einem Hut
er riss dir den Hut vom Kopf und warf ihn aus
dem Wagenfenster hinaus
Ich dachte an die Anwärter auf die Todesstrafe
dass sie alle, von einem Mann oder einer Frau
in ihrer Kindheit missbraucht wurden – die Mörder, Vergewaltiger: 100% -
dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt
dass Grausamkeit eine antrainierte Art zu handeln ist,
keine natürliche
Ich stand beim Wettbewerb für deine Gedichte auf:
glasklare genaue Details
ohne Selbstmitleid, so sehr, dass sie einen Leser
zu Tränen rührten, und du gewannst den dritten Preis.
Ich ging dich besuchen, wie man ein fremdes
Land besucht, in den Sacramento-Fluten
Alle Workshops im Folsom-Gefängnis endeten
mit dem Regen, sie gaben mir einen Raum abseits vom Hof
mit nur zwei Studenten, mit dir und einem anderen
als ob ich dich in der Türkei besuchen käme
wir hatten eine einstündige Privataudienz
dein helles rotes Haar dunkel von den Jahren drinnen
Ein Frosch begann zu quaken neben dem Abfluss in der Ecke
du unterbrachst unser Gespräch, um ihn zu fangen
und trugst ihn hinaus, gabst ihm die Chance
zu überleben. Ich dachte daran, wie das Mitgefühl
in einem beginnt und alle anderen einschliesst,
wie deine Gedichte und du selbst dich verändert hast
Gestern Nacht erfuhr ich von deinem Tod.
Ich kam gerade vom Berg heim
ich betrachtete die kahlen Bäume in der Sonne, sie sagten
du habest gewusst, es würde kommen, Hundertscharen
von Ahornblüten auf dem Waldboden
manche rot, schön auf natürliche Art
Willow, New York, 14. April 2000
von Florian Vetsch)
Janine Vega hat die Fähigkeit, die Vorstellungswelt von Kindern
auf den Tod, die Hölle & den Teufel zu lenken. Falls unser Kind in
ihre Klasse kommt, werden wir Anzeige erstatten.
- Auszug aus einem Elternbrief an eine Lokalschule
HEXENKUNST
Wünschte, sie hätten das nie gesagt über
das Lenken der Vorstellungswelt von Kindern,
als ob ich Kanäle in ihre Ohren
bohrte. Wünschte, sie hätten
die Vorstellungskraft nicht
für teuflisch befunden.
Einmal sah ich einen Teufel, er hatte
ein Gesicht verschlossen wie eine Faust, eine
Mauer gegen jede Verständigung.
Die Bodhisattvas lehren: Solange nicht
jeder frei ist, ist keiner wirklich frei.
Leg die Scheite zusammen für das nächste Feuer
und ich werde darum herumtanzen wie die
Hexen in der Walpurgisnacht
Sag Beltana, sag Aks aya trt jya
sag Marienmond oder Buddhas Geburtstag
jeden Namen verkörpere ich im Feuer
Das brüllt
pyramidal auflodert,
und sein Spiegelbild erblick ich in meinem Herzen.
Feuer brennt und brennt nicht.
Wo ist mein Besenstiel?
Vertrau mir.
Bedford Hills Correctional Facility, NY, Februar 1992
VERRÜCKTE HUNDE VON TRIEST
für Andy Clausen
Noch nie befanden wir uns in einem Krieg wie diesem
in all den Jahren nicht
in denen wir auf den Strassen um 3 Uhr in der Früh die Jugendlichen
beobachteten, wie sie Stinkbomben in Abfalleimer schmissen
die letzten Stricherinnen, wie sie heimwärts zogen
Oft kehrten wir nach einer solchen Nacht
in den Cafés von Les Halles ein, wir konnten
die kräftigen Kerle vom Markt
und die schönen Dirnen sehen
wie sie sich eng umschlungen ausruhten
Le Chat Qui Peche, Le Chien Qui Fume
beseelt von Pariser Walzern, seine Hände auf ihrem Arsch
Wir konnten Rohes aus den Kompostcontainern fischen
und den Linseneintopf für morgen aufsetzen
Noch nie standen die Dinge so wie jetzt.
Bullen schwärmen auf dem Dorfplatz gegen Teenager aus
bumsen den Gefälligsten durch und buchten den Rest
in Zellen ein
Die verrückten Hunde von Triest -
wir rechneten damit, dass sie die Toten stürzen
und den morschen Status quo, hier ein Stubs
dort ein Stoss, das verfettete verkalkte System marodieren –
sind verschwunden wie Geschichten
Wir pflegten sie unter Hutkrempen zu erwischen
die ihr Gesicht fast ganz überschatteten
und manchmal verwandelten sich jene Stimmen
eine um die andere
in Wellen
wie Zikaden in den Augustbäumen im Hintergrund
singen und verschwinden, die Worte krochen unter
die Vorhänge der Macht, bewirkten kleine Veränderungen,
setzten die prekäre Balance ausser Kraft und führten zur Entspannung
Jene Rudel streunen jetzt nicht mehr kreuz und quer über die Boulevards
in den alten Städten, kein politischer Klüngel
überwacht die Welt mit
allwissendem
Auge
die poetischen Stimmen Regenbogenkörper
deine Freunde meine Freunde keiner mehr übrig
aber die verrückten Hunde von Triest, wenn wir
die Strassen unsicher machen.
Willow, NY, August 1998
KÜCHENTRAUM
In meinem Zimmer über der Küche
in Barranco kräuselt sich über dem Holzboden
der Schatten von Weihrauch
Ich neige mich über das Königreich
meiner Habseligkeiten, und dies wird
eines Tages verschwinden
wie Rauch, der sich auflöst
Eine Taube landet vor der Tür
und gurrt, kommt herein,
geht hinaus in die Stille
wie ein Leben,
das kurz aufscheint
wie jemand, der in einer Flussmündung
in die See hinaustreibt.
Barranco, Lima, Peru, September 1993
VOGELMUTTER VON CAGLIARI
für Anne Waldman
Urmutter
aufbewahrt in Regalen
aus Cúcurru’e Mari auf Sardinien
eine Reihe kleiner Mütter aus Cúcurru S’árriu
zwischen früher und mittlerer Bronzezeit
Bronzezeit (1600 v. Chr.), nuraghische Kultur
Vogelfrau aus weissem Marmor gemeisselt
mit grossen breiten Schultern
und blindem Schnabel,
Glaubst du, dass wir,
umgeben von Bildern
und Kunstwerken des alten Wissens,
zurückgeworfen werden könnten,
erschüttert, überrascht in unser Urselbst
und sein singendes Herz zurückversetzt?
Unser Einblick in sehnige Kanäle
den Halt unserer Arme und Knie – voller Höhlen
deine dunkle Nacht eine bestirnte
mütterliche Kirche, mit vernestelter Kenntnis
einer körperlichen Welt und ihrer Brut von Eiern
eines schöner als das andere
Könnten wir in jenen Garten zurückkehren
und deine Obsidianhalme erkennen
dein rundes Kammerhaus
deine Hand vor dem
mons veneris
wenn du dich nach rechts drehst?
Könnten wir zustimmen und eintauchen in jenes Königreich
Beschützt, hervorbringend
ohne die Kriege der Teilung?
Könnten wir dich finden, Trösterin,
wenn wir die Arbeit auf uns nähmen,
die keine Trennung duldet?
Könnten wir dich finden,
wie du an der Pforte lächelst
und uns willkommen heisst?
Cagliari, Sardinien, Juli 1999
PATRICK NOLAN
Ich lese deine Kindheitsgedichte
wie du von deinem Stiefvater geprügelt wurdest, getreten
regelmässig missbraucht, er hasste dein helles rotes
Haar, du verbargst es unter einem Hut
er riss dir den Hut vom Kopf und warf ihn aus
dem Wagenfenster hinaus
Ich dachte an die Anwärter auf die Todesstrafe
dass sie alle, von einem Mann oder einer Frau
in ihrer Kindheit missbraucht wurden – die Mörder, Vergewaltiger: 100% -
dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt
dass Grausamkeit eine antrainierte Art zu handeln ist,
keine natürliche
Ich stand beim Wettbewerb für deine Gedichte auf:
glasklare genaue Details
ohne Selbstmitleid, so sehr, dass sie einen Leser
zu Tränen rührten, und du gewannst den dritten Preis.
Ich ging dich besuchen, wie man ein fremdes
Land besucht, in den Sacramento-Fluten
Alle Workshops im Folsom-Gefängnis endeten
mit dem Regen, sie gaben mir einen Raum abseits vom Hof
mit nur zwei Studenten, mit dir und einem anderen
als ob ich dich in der Türkei besuchen käme
wir hatten eine einstündige Privataudienz
dein helles rotes Haar dunkel von den Jahren drinnen
Ein Frosch begann zu quaken neben dem Abfluss in der Ecke
du unterbrachst unser Gespräch, um ihn zu fangen
und trugst ihn hinaus, gabst ihm die Chance
zu überleben. Ich dachte daran, wie das Mitgefühl
in einem beginnt und alle anderen einschliesst,
wie deine Gedichte und du selbst dich verändert hast
Gestern Nacht erfuhr ich von deinem Tod.
Ich kam gerade vom Berg heim
ich betrachtete die kahlen Bäume in der Sonne, sie sagten
du habest gewusst, es würde kommen, Hundertscharen
von Ahornblüten auf dem Waldboden
manche rot, schön auf natürliche Art
Willow, New York, 14. April 2000
von magdalena la chouette am Samstag, 12. August 2006, 10:50 unter archiv 06